Leipzig

Sigrun Menzel

Geschichte eines Gedankens

Der Name Sigrun Menzel ist in der deutschen Kunstszene durch das Projekt Liebesperlen kullern durch die Republik bekannt geworden. Jetzt kullern sie nach Leipzig ins Leibniz- Institut für Troposphärenforschung.

Lupengroße Tropfen, Plastiktütchen mit Wasser gefüllt, perlen im Osten, im Westen, im Süden, im Norden das Wolkenlabor hinunter. Umkreisen so den simulierten Tropfen im Inneren des Gebäudes, um den sich alles dreht.

In einzelnen Tütchen liegt eine versiegelte Liebesperle. Sigrun Menzel schreibt mit diesen "Tropfen" ein Wort. Gefunden und nicht gesucht wurde dieses Wort auf dem Dach des Instituts. Es ist verborgen im Binärcode; eine ausdrückliche Hommage an Leibniz, dem Begründer des binärischen Codes und der Namenspatron dieses Forschungsinstituts: 001110101 001101101 001110011 001100101 001100101 001101100 001100101 001101110

Das Wort wird nicht verraten.

Alle Tropfentütchen - mit und ohne Liebesperle - hängen an einem goldenen Messingfaden (Durchmesser 0,5mm). Sonnenlicht bringt Myriaden von Elektronen in diesem Faden in Schwingung und Licht fließt, immateriell. Die Geschichte eines Gedankens blitzt darin auf: die Idee von der Catena Aurea, the Chain of Being, der Goldenen Weltkette. Jedes Leben für sich an seinem Platz und mit jedem anderen ist verbunden durch jene mythische Goldene Kette, an der alles, was ist hängt. Nichts ist für sich. So wie Liebe eine Aneinanderreihung von Perlen, eine Kette von Liebe ist, ist Natur eine Kette von Leben. Mit Leibniz gesprochen müssen alle natürlichen Dinge eine einzige Kette bilden, deren einzelne Arten gleichsam wie die Kettenglieder so eng miteinander verbunden sind, dass es den Sinnen und der Vorstellung unmöglich ist, den genauen Punkt auszumachen, wo eines beginnt und wo es endet und die so nahe beieinander liegen, dass keine weitere dazwischen liegen kann.

In der Sonne sich wandelnd sterben sie nicht. Tropfen werden Türklinken. Just in dem Moment, wenn Erde sie berührt. Auf dem Gesims des quadratischen Gebäudes und auf der grünen Wiese sind 528 Türklinken zu einem Mosaik gelegt, ein Spiel mit der geraden Linie wie Wolken spielen.

Die vertikale und horizontale Linie im rechten Winkel ist Ausdruck für das Verhältnis von Materie und Geist. Die Klinken liegen auf rotem Flaum: Das Troposphäreninstitut, fest gemauert auf der Erde, inmitten einer vor Energie vibrierenden roten Wolke. Türklinken spiegeln sich in den Glasscheiben wider, öffnen Räume, lenken unseren Blick auf den winzigen kristallklaren Wassertropfen im Innern des Gebäudes. Der Tropfen wird wissenschaftlich untersucht, alles wird erklärt. Alles verstanden? Wie Türklinken, die begriffen werden, um in Räume vorzudringen... und aus Räumen hinaus?!

Übrigens: ein Alphabet zum Binärcode liegt vor. Das schöne Wort von hoch oben auf dem Dach kann entschlüsselt werden.

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